*09. Oktober 1909 in Tokio; † 08. März 1946 Wriezen Auf dem Friedhof von Wriezen hat ein japanischer Arzt seine letzte Ruhestätte gefunden.
Wer war dieser ungewöhnliche Mann?
Nobutsugu Koyenuma wurde in Hatiouji geboren, einer Stadt im Westen Tokios, die für ihre Textilindustrie bekannt ist. Er war der älteste Sohn von Dr. Umeaburou Koyenuma, einem praktizierenden Chirurgen von hervorragenden Ruf, und dessen Ehefrau Hatu. Er hatte zwei Brüder und eine Schwester. Er war nach Abschluss der Second High School (heute Tatikawa High School) in Tokio an der Nippon Medical School immatrikuliert, wo er durch seine überragenden Leistungen in Mathematik auf sich aufmerksam machte. Anschließend wurde er als Forschungsassistent in der Abteilung für Radiologie in der Medizinischen Fakultät der Kaiserlichen Universität in Tokio zugelassen.
Im Frühjahr 1937 reiste Koyenuma dann von als japanischer Regierungsstipendiat nach Deutschland. Nachdem er zunächst am Kochinstitut der Berliner Universität immatrikuliert war, wurde er im Juli desselben Jahres als wissenschaftlicher Gast am Institut für Strahlenforschung der Berliner Friedrich-Wilhelm –Universität (heutige Humboldt-Universität) zugelassen. Im Jahr 1939 wurde Koyenuma Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Am 1. April 1941 stellte man ihn am Institut für Strahlenforschung zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft ein mit einer Vergütung von monatlich 120,- Reichsmark. Seit August 1937 veröffentlichte er nacheinander zahlreiche Artikel, die weltweit hohe Anerkennung fanden. Als Beispiele wären zu nennen: „Biologische Treffertheorie und Mutationserzeugung“ (Zeitschrift für Physik 114, 1939), „Die Löslichkeit der Thymonukleinsäure in einem Wasser“ (Biochemische Zeitschrift 304, 1940), „Zur Theorie der biologischen Strahlenwirkung“ (Zeitschrift für Physik 17, 1941), „Zur Frage der endogenen Entstehung krebserregender Stoffe beim Menschen“ (Gemeinsam mit W. Friedrich. Die Naturwissenschaften 30, 1942), Beiträge zur Theorie der biologischen Strahlenwirkung“ (Zeitschrift für Physik 120, 1943). Im Februar 1943 wurde Koyenuma mit der Vertretung einer planmäßigen Assistentenstelle am Institut für Strahlenforschung mit einer Vergütung von monatlich 342,01 Reichsmark betraut.
Ein Jahr später, im Februar 1944, schloss Koyenuma die Arbeit an seiner Habilitationsschrift zum Thema: „Über den Wirkungsmechanismus der Röntgenstrahlung und des Ultraviolettes auf wässrige Eiweiß- und Thymonukleinsäurelösung“ ab. Am 30. August 1944 stimmt das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin seiner Habilitierung zu. Die Begutachtung der Habilitationsschrift übernehmen Walter Friedrich und der u.a. durch die Entdeckung der ATP bekannt gewordene Biochemiker Karl Lohmann.“ Im Oktober des Jahres schlug Professor Friedrich Koyenumas Habilitierung als Tagesordnungspunkt für die ordentliche Sitzung der Medizinischen Fakultät vor und der Dekan stimmte dem zu. Im Januar 1945 bittet Koyenuma den Dekan „um Rückgabe seiner bereits eingereichten Habilitationsschriften, da er noch einige Ergänzungen einfügen wollte. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Wenig später dürfte er ausgebombt und nach Eberswalde evakuiert worden sein“.
Koyenumas Arbeit wurde 1955 in überarbeiteter Fassung posthum durch seinen Kollegen Hans Schreiber veröffentlicht (Strahlentherapie, Bd.96, S 599-617, 1955) und mit einer Fußnote über Koyenuma versehen, in der er ausführt: „Da der behandelte Gegenstand unverändert aktuell ist, glaube ich, im Sinne des viel zu früh von uns gegangenen Kollegen zu handeln und eine Pflicht der Pietät zu erfüllen, wenn ich sein letztes Werk der Öffentlichkeit gebe.“
Professor Kurt-R. Biermann, der frühere Leiter der Alexander von Humboldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften in Berlin, und Dr. I. Schwarz schrieben 1993 in einem Aufsatz in den „Mitteilungen“ der Alexander von Humboldt-Stiftung, dem ich auch die hier angeführten Zitate verdanke, das er ein „Überdurchschnittlich begabter und kreativer Forscher“ und zudem der erste Wissenschaftler aus Asien gewesen sei, der hier seine Habilitation erworben habe.
Im Frühjahr 1945 näherte sich die Front. Berlin wurde täglich aus der Luft angegriffen. Am 18. März 1945 sammelte die japanische Botschaft in Berlin die japanischen Einwohner der Hauptstadt, die sich dann südwärts nach Salzburg absetzen konnten. Koyenuma ging nicht mit ihnen, da er in der Nähe Berlins bleiben wollte. In jenen tagen lernte er Frau Schneider, deren Mann im Krieg verstorben war, kennen. Da eine Schwester von Frau Schneider nordöstlich von Berlin wohnte, fand er zusammen mit ihr und deren fünfjährigen Tochter Christel dort Zuflucht.
Im September 1945 wurde Koyenuma aber durch den russischen Stadtkommandanten von Eberswalde nach Wriezen geholt, um die Bekämpfung der auftretenden Seuchen, vor allem des Flecktyphus, auf einer Seuchenstation als Chef- und einziger Arzt zu leiten. Im Zusammenhang mit der Angliederung Ostpolens an das Territorium der Sowjetunion strömten Vertriebene in großer Zahl in das grenznahe Wriezen ein. Koyenuma zog mit Frau Schneider und Tochter nach Wriezen um und nahm dort seinen Kampf gegen die heimtückischen ansteckenden Krankheiten auf.
Die Seuchenstation, in der er arbeitete, war zuvor eine Übungsschule der deutschen Panzerkorps gewesen. Nach einem Umbau ist sie heute das Rathaus der Stadt Wriezen. Anfangs bestand der Mitarbeiterstab der Stadt aus einem Arzt (Koyenuma), einem Assistenten, der vom Roten Kreuz abgeordnet war, sieben Krankenschwestern und drei Köchen.
Als Koyenumas Arbeit in der Seuchenstation immer mehr zunahm, verbrachte er den gesamten Tag damit, Patienten zu behandeln, Hausbesuche zu machen oder auch nach Berlin und in andere Städte zu fahren, um die in großen Mengen benötigten Medikamente herbeizuschaffen.
Es besteht kein Zweifel: Dr. Koyenuma kämpfte unter Einsatz seines Lebens gegen die Übermachte dieser furchtbaren ansteckenden Krankheiten und rettete dabei unzähligen Menschen das Leben. Und jedes Mal, wenn wieder ein Patient außer Gefahr war, pflegte er zu sagen: „Wieder ein Leben gerettet, welch ein Segen!“
Im Februar 1946 war er mit seiner Kraft und seiner Gesundheit am Ende. Das Typhusfieber befiel auch ihn. Dennoch zwang er sich seine medizinische arbeit fortzusetzen. Drei Tage vor seinem Tode war er nicht mehr im Stande, das Bett zu verlassen, sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Er flüsterte: „Ich wünschte, ich könnte noch einmal die Kirschblüten Japans sehen.“ Am 8. März 1946 verstarb dieser hervorragende Arzt und Forscher, von dem noch Großes zu erwarten wäre, ohne noch einmal nach Japan zurückgekehrt zu sein, das er neun Jahre zuvor verlassen hatte.
Posthum zum Ehrenbürger der Stadt für seine Verdienste um die Seuchenbekämpfung wurde er am 03. Juli 1994 ernannt.